Wir setzen unsere Interviewreihe mit den Vorständen der BAO fort. Nach den beiden Interviews im letzten Jahr mit Johan van Gorp und Ludger Nienhaus folgt nun Vorstandsmitglied Torsten Liem.
Torsten, viele Osteopathen kennen dich: Unter anderem leitest du die Osteopathie Schule Deutschland, OSD, bist Autor zahlreicher Fachbücher, Mitherausgeber der Osteopathischen Medizin sowie der wohl aktivste Autor und Koautor osteopathischer Studien in Deutschland. Wo bringst du dich als neuer Vorstand der BAO ein?
Die BAO ist für mich eine Plattform, in der Schulen mit akademischem Niveau gemeinsam an der Weiterentwicklung der osteopathischen Ausbildung arbeiten – auf Augenhöhe und demokratisch. Das ist nicht selbstverständlich, aber essenziell, da es in Deutschland bisher keine staatliche Regulierung der Osteopathie gibt. Dadurch existieren zahlreiche Ausbildungsstätten mit sehr unterschiedlichen Standards, was die Gesamtqualität der Osteopathie in Deutschland gefährden kann.
Diese Unterschiede sehen wir weltweit in Ländern ohne staatliche Regulierung. Daher ist die Arbeit der BAO umso wichtiger. Obwohl mein Fokus auf Lehre und Praxis liegt, engagiere ich mich in der BAO für ein striktes Qualitätsmanagement, dem sich alle Mitglieder freiwillig unterwerfen. Das ist essenziell, um die Osteopathie voranzubringen und Patienten eine fundierte Behandlung zu gewährleisten.
Im Vorstand nehmen wir uns Zeit, verschiedene Perspektiven zu diskutieren. Ich bringe dabei meine internationale Erfahrung ein, um Strategien aus anderen Ländern zu teilen, die ein hohes akademisches Niveau in der Osteopathie gesichert haben. So kann ich dazu beitragen, dass Patienten sicher sein können, von qualifizierten Osteopathen behandelt zu werden.
Auch um den von dir genannten unterschiedliche Niveaus und Standards entgegenzuwirken, werden von der BAO Osteopathieschulen zertifiziert. Worin liegt denn für Studierende der Mehrwert einer solchen Zertifizierung?
Ein zentraler Punkt sind die Dozenten: Problematisch ist es, wenn Lehrende selbst keine anerkannte osteopathische Ausbildung durchlaufen haben. An den BAO-Schulen dürfen nur BAO-zertifizierte Dozenten, die auch pädagogisch geschult sind, Osteopathie unterrichten.
Auch die Aufnahmevoraussetzungen sind geregelt: An BAO-Schulen mit Teilzeitausbildung werden nur medizinisch ausgebildete Fachkräfte akzeptiert. Im Heilpraktikerbereich gibt es hingegen oft keine klare Abgrenzung. Manche Schulen lassen medizinische Laien parallel zur Heilpraktikerprüfung eine Teilzeit-Osteopathieausbildung durchlaufen oder rechnen HP-Ausbildungsstunden auf die Osteopathie-Ausbildung an.
Aus meiner Sicht sollten solche Personen stattdessen eine Vollzeitausbildung mit 5000 Stunden absolvieren, um kompetent arbeiten zu können. Man stelle sich vor, ein Chirurg würde seine Ausbildung in Teilzeit machen – das wäre undenkbar. Ohne eine fundierte, umfangreiche Ausbildung fehlt die nötige Kompetenz für eine sichere Patientenbehandlung.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Qualitätssicherung von Unterricht und Prüfungen. Wenn Schulen sich selbst prüfen, gibt es kaum externe Feedbackschleifen. Die BAO sorgt durch ihr Zertifizierungsverfahren dafür, dass Studierende nicht nur Techniken erlernen, sondern auch die kognitiven und palpatorischen Kompetenzen erwerben, um anatomisch-physiologische Wechselwirkungen fundiert zu befunden und eigene Behandlungsmethoden zu entwickeln.
Wie kann die BAO weitere Schulen davon überzeugen, sich diesem Qualitätsmanagement anzuschließen?
Ein entscheidender Punkt ist die Struktur der BAO: Es gibt keine versteckten Machtstrukturen, alle Schulen arbeiten auf Augenhöhe zusammen.
Ein Beispiel für unsere Transparenz ist die Rotation des Vorstands, die ich aus den USA von der American Academy of Osteopathy kenne. Ich habe diesen Vorschlag in die BAO-Vollversammlung eingebracht und er wurde einstimmig angenommen. Das fördert demokratische Prozesse und stellt sicher, dass verschiedene Perspektiven in die Entscheidungsfindung einfließen.
Für Schulen, die die BAO-Qualitätskriterien bereits erfüllen, bietet die BAO reduzierte Beiträge für die ersten zwei Jahre einer neuen Mitgliedschaft an. Um Schulen, die die Qualitätskriterien noch nicht erfüllen, eine schrittweise Anpassung an die BAO-Standards zu ermöglichen, will die BAO zudem eine außerordentliche Mitgliedschaft anbieten und diesen Schulen unterstützend zur Seite stehen.
Du hast vorhin selbst die Vollzeitausbildung angesprochen, zwar gibt es das BAO-Curriculum, das auch immer wieder aktualisiert wird, aber das umfasst nur die Teilzeitausbildung. Wird es auch ein BAO-Curriculum für die Vollzeit-Ausbildung geben?
Ich halte es für sehr wichtig, dass sich alle Anbieter von Vollzeitausbildungen an einen Tisch setzen und gemeinsame Inhalte abstimmen. Ich werde dieses Thema in diesem Jahr aktiv vorantreiben, damit wir eine fundierte Grundlage für ein Qualitätsmanagement Vollzeitausbildung/-studium schaffen können.
Welche Herausforderungen siehst du in der Weiterentwicklung von Osteopathie-Ausbildungen in Deutschland?
Eigentlich ist es weniger eine Frage des Inhalts als eine Frage des gemeinsamen Verständnisses über notwendige Kompetenzen. Wenn wir uns darauf einigen, welche Fähigkeiten Osteopathen erwerben müssen, wird schnell klar, wie viele Stunden erforderlich sind, welche Inhalte adaptiert werden könnten und wie Prüfungsregularien aussehen können. Die Herausforderung besteht oft in organisatorischen und strukturellen Fragen – und wenn alle Beteiligten mitziehen, kann sich vieles schneller entwickeln, als man erwartet.
Was steht sonst noch auf deiner persönlichen BAO-Agenda?
Ein zentraler Punkt ist die Entwicklung von Standards für die postgraduale Kinderosteopathie-Ausbildung. Da ich aktuell den Vorsitz der Deutschen Gesellschaft für Kinderosteopathie (DGKO) innehabe und die OSD bereits seit 2002 eine Kinderosteopathieweiterbildung und 2004 ein MSc-Studium in Kinderosteopathie angeboten hat, möchte ich meine Erfahrung in die BAO einbringen und dazu beitragen, dass sich einheitlich hohe Ausbildungsstandards auch in der Kinderosteopathieausbildung deutschlandweit etablieren.
Wissenschaftlichkeit wird in der BAO gegenwärtig intensiv diskutiert – insbesondere die Frage, ob Kliniker stärker zur eigenen Forschung angehalten werden sollten oder ob es wichtiger ist, wissenschaftliche Erkenntnisse zu verstehen und sinnvoll zu integrieren. Meine Erfahrungen aus peer-reviewed Publikationen und Forschungsstudien bringe ich aktiv in diese Debatte ein, um die wissenschaftliche Ausrichtung und Qualitätsstandards weiterzuentwickeln. In diesem Zusammenhang habe ich den ersten Entwurf für die Gründung eines BAO-Gremiums erstellt, das sich gezielt mit wissenschaftlichen Fragestellungen befasst.
Lieber Torsten, vielen Dank für das Interview!